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Statistik Kanada:

Strecke: 1500 km
Tagesdurchschnitt: 68 km
Tage im Land: 22
Tage auf dem Rad: 15
Höhenmeter überwunden: 5422m
Tagesdurchschnitt: 360m
Nächte im Zelt: 10
Nächte in Häusern: 12
Pannen: Tretlager ersetzt, Hinterachse nachgestellt
tägliche Ausgaben: 11,00€

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Drei grosse Städte und zwei gigantische Seen

Als ich am Morgen die Grenze nach Kanada überquerte erwartete mich absolute Ruhe. Eine Menschen und Autoleere Strasse führte mich auch Norden. Durch Felder und entlang der typische Farmen mit gigantischen an Raketen erinnernden Silos ging es mehr oder weniger dem Richelieu Fluss entlang nach Norden. Ich war in der Provinz Quebec, der Hochburg der Frankophonie in Kanada. Man ist Stolz darauf französisch zu sprechen und verteidigt das ganze auch vehement.
Wer hier leben will muss französisch sprechen können. Die Städtchen sind sehr gediegen und die Strecke erinnerte mit Ihrer Lieblichkeit und Gelassenheit and die holländische Provinz. Ich folgte Kanälen und später kleineren Landstrassen bis vor die Tore Montreals. Hier war das erste Hindernis der St. Lorenz Strom. Ein gigantischer wilder Fluss, Hauptabfluss der grossen Seen, der fast nur von Autobahnbrücken überspannt wird. Mit ein wenig Sucherei fand ich einen Weg über verschiedene Schleusenanlagen, die kleinen und grösseren Inseln im Strom beradelnd einen Weg hinüber. Dabei fuhr ich sogar eine kleine Ecke des Formel 1 Kurses ab. Der wird den Hauptteil des Jahres als Parkplatz benutzt und es sieht schon witzig aus wenn entlang der Strecke Parkuhren stehen….
Auf der anderen Seite des Stroms liegt Montreal. Das Flußufer führte mich nach Westen. Als ich später entlang des Lachine-Kanals durch die Stadt fuhr hatte ich das Gefühl das Leben in der Stadt explodiert. Überall Radfahrer, Fußgänger, Jogger, Kanufahrer, Musiker, Yogagruppen... Unglaublich. In dieser Stunde dachte ich: Hier will ich leben, das ist meine Stadt.
Einige Stunden später, es zog sich unglaublich lange hin erreichte Ich im Westen Montreals das Haus von Valerie und Hans. Eine Oase der Ruhe am Ende eines langen Tages. Hier durfte ich für ein paar Tage bleiben, gut so.
Montreal wollte ich mir auf jeden Fall anschauen und so machte ich mich zwei Tage später auf den Weg. Aus der Metro herauszukommen gestaltete sich etwas schwieriger. Ich verlief ich mich fast im unglaublich langen und verwirrenden System der Gänge und Hallen unter der Stadt. Später erfuhr ich das es mit der anderen Jahreszeit zusammenhängt: Dem Winter. 6 Monate im Jahr ist es unglaublich kalt hier oben. Kann man sich momentan schlecht vorstellen, aber dann verschwinden die Bewohner im Untergrund und über die Jahre haben sich immer mehr Häuser und Gebiete an diese Tunnel angeschlossen. Man kann im Winter ziemlich gut alle wichtigen Punkte der Stadt erreichen ohne das Tageslicht und die damit die Kälte zu sehen und zu erleben. Das erklärt die Intensität mit der die warme Jahreszeit zelebriert wird. Jetzt ist Sommer und so machte ich mich nach oben, besuchte die Altstadt Port Vieux (alter Hafen) und fühlte mich sofort nach Paris versetzt. Die französische Sprache und die Architektur des 19. Jhd machte die Illusion perfekt. Die gotische Kathedrale auf dem zentralen Platz zusammen mit den Straßenmusikern und Horden von Touristen rundeten das Bild ab. Schön. Danach liess ich mich durch die Innenstadt treiben hinauf zum Mont Real, der Hügel welcher dieser Stadt Ihren Namen gegeben hat. Von hier oben hat man einen schönen Blick auf die Innenstadt, das ganze natürlich nicht alleine, hunderte von Menschen quälen sich teilweise völlig außer Atem hinauf und säumen dort oben die Plattform. Aber wenn man dies einmal ausblendet ist die Aussicht wirklich die Wanderung wert. Wieder unten schlenderte ich noch ein wenig durch die hippen Gassen von „Le Plateau Mont Real“ dem In-Viertel der Stadt und machte mich danach wieder auf den Weg zurück zur Oase der Ruhe. Hier konnte ich Energie auftanken, ein wenig beim renovieren helfen und zu guter Letzt dann wieder das Bike packen.

Nächstes Ziel Ottawa. Die Radwege sind gut ausgebaut, die Nebenstraßen ruhig und die Landschaft zwischen den beiden Städten ländlich unspektakulär. Wenn die Straßenbeläge noch ein wenig besser wären wäre es das Paradies. Ich erreichte nach 3 entspannten Tagen die Hauptstadt. Ottawa ist kleiner, wieder englischsprachig und irgendwie schön. Der Parlamentsbezirk ist mit beeindruckenden Viktorianischen Gebäuden bebaut und auch die umliegenden Gebäude sind schön und vor allem mächtig und auch die jungen Viertel haben viel zu bieten. Ich radelte durch die Stadt und ging abends noch ein wenig mit Olivia, meiner Gastgeberin in die Bars etwas trinken.

Durch die Stadt führt der Rideau Kanal, eine technische Meisterleistung aus dem 19. Jhd der Ottawa quer durchs Land mit dem Lake Ontario verbindet. Ursprünglich für das Militär gebaut wurde er bis zur Erfindung der Eisenbahn fleißig genutzt und ist nun wieder als Freizeitgebiet hoch angesagt. Mein Weg zum See führte mich entlang des Kanals. Eigentlich ist es nur eine Verbindung verschiedener bestehender Flüsse und Seen, aber die Überwindung der Höhenunterschiede und die Überflutung der Sümpfe durch die Stauwehre machten das Gebiet befahrbar und dadurch auch bewohnbar. 3 Tage dauerte es und ich schlief an den Schleusen und genoss die Annehmlichkeiten der Zivilisation neben dem Zelt. Die Strecke entlang des Kanals erinnerte mich teilweise ein wenig an den Westen des Landes. Feuchtgebiete mit abgestorbenen Bäumen darin breiteten sich rechts und links der Strecke aus.

In Kingston betrat ich das sogenannte Loyalist-Country. Hier ist alles stark auf die Queen ausgerichtet. Viele kamen während des Krieges über die Grenze nach Norden und siedelten sich hier an. Loyal gegenüber der Krone trägt hier auch fast jede Siedlung einen typisch englischen Namen. Kingston war dann auch die erste Hauptstadt der englischen Provinz Kanada. Erst mit der Schaffung des Staates Kanada zog diese nach Ottawa um.

Von hier an ging es auf dem Waterfront Trail weiter, eine Strecke die am kompletten kanadischen Ufer der großen Seen entlang führt. Meist war der See in Sichtweite und seine schiere Größe ist überwältigend. 80mal größer als der Bodensee ist das andere Ufer nicht sichtbar. Dabei isit der See nur der kleinste der fünf großen… Man kommt sich vor wie am Meer. Das beste daran: dieses Meer ist Süßwasser. Perfekt für ein abendliches Bad und meist einen tollen Zeltplatz direkt am Ufer... Ein paar Tage später erreichte ich immer schön dem See folgend Toronto.

Hier konnte ich für eine Nacht bei Bernhard unterschlüpfen, einen Deutschen der seit Jahren in Kanada lebt. Ich schaute mich vorher ein wenig in der Stadt um, aber mit dem Rad und Gepäck ist es immer etwas umständlich wirklich richtiges Sightseeing zu machen....
Am nächsten Tag zog es mich schon wieder an den Stadtrand, wo ich bei Andrew ein paar Tage bleiben durfte. Er war nicht zuhause, aber überliess mir seine Wohnung, danke dafür Andrew!
Ich entschied mich noch einmal mit der Bahn in die Stadt zu fahren um mich ohne Rad noch ein wenig umzuschauen. Das Wetter in diesen Tagen war sehr wechselhaft, immer wieder zogen unwetterartige Regenschauer über die Stadt um danach wieder von einer Stunde Gluthitze abgelöst zu werden... Dramatisch! Toronto ist grossartig. Eine Weltstadt die alles bietet und boomt. Entlang des Seeufers wachsen die Hochhäuser mit den Condominium genannten Wohnungen in den Himmel während drumherum die verschiedenen Stadtviertel alle Ihren eigenen Charakter zelebrieren. Das alte Toronto wird vom Bauboom teilweise überrollt, spannend zu sehen wie das sich in Zukunft gestaltet….

Lange hatte ich mit mir gerungen, aber dann hab ich mich entschlossen doch noch hin zu radeln, zu den Niagara Fällen! Völlig überlaufen von Touristen war es eigentlich eher abschreckend für mich, aber irgendwie hatte ich mein ganzes Leben von diesen Fällen gehört und da siegte sie Neugier dann doch. Ein kleiner Umweg war es schon, aber ich nahm ihn auf mich. Mein Timing war nicht sehr gut, denn ich sollte an einem nationalen Feiertag ankommen (niemand konnte mir genau sagen was eigentlich gefeiert wurde). Also plante ich sehr früh aufzustehen und morgens am Niagara Fluss hinauf zu den Fällen zu radeln. In der ersten Stunde erlebte Ich den Sonnenaufgang in Niagara on the Lake, noch am Ontario See und fuhr dann langsam am Fluss entlang nach Süden. Irgendwann trifft man auf die Geländekante die den Fall erst möglich macht, der Fluss verschwindet in einer Schlucht und wird rechts und links von gigantischen Kraftwerksbauten aus Beton eingerahmt. Ein paar Kurven später holt einen der Tourismus dann doch ein, eine Seilbahn über eine Flussbiegung die Whirlpool genannt wird taucht auf. Wenige Kilometer später taucht er dann auf, der Wasserfall. Zuerst die amerikanischen Fälle auf der linken Seite und im Hintergrund die perfekte Rundung der Horseshoe-Falls (Hufeisen Fälle). Die Fußgängerpromenade entlang der Schlucht ist überraschend leer, aber die gigantischen Hotel und Casino Burgen auf der kanadischen Seite der Fälle überragen alles. Wenn man es schafft sie zu ignorieren dann ist es ein wirklich toller Platz. Die Natur zeigt, dass sie sich nicht bändigen lässt, auch wenn der Fluss oberhalb der Fälle ziemlich kanalisiert ist, hier fällt das Wasser mächtig in die Schlucht. Die türkis grüne Farbe des Wassers macht die Sache einfach atemberaubend schön. Ich teile mir das Spektakel mit zunehmend mehr Menschen und beschließe mich mal im angrenzenden Casino-Viertel umzuschauen. Dort gab es um 8 in der früh aber auch nichts zu sehen und so begann ich dem Fluss entlang nach Fort Erie am Erie See zu radeln. Die Strecke, ein Parkway, also für LKW verboten führte direkt am Fluss entlang. Schön angelegt und ländlich geprägt war es ein sehr entspanntes radeln. Der Fluss bildet auch die Grenze zu den USA und so sind viele Befestigungsanlagen aus dem englisch-amerikanischen Krieg 1812 bis 15 noch vorhanden oder die Plätze werden beschrieben. Fort Erie war eine der größeren Befestigungen und war lange Zeit von den Amerikanern besetzt. Von hier hat man einen schönen Blick hinüber nach Buffalo, einer Großstadt auf der amerikanischen Seite. Den Rest des Tages verbrachte ich auf einem Eisenbahnradweg. Schnurstracke 30km führten mich in die nächste Stadt Port Colbourne wo ich wieder auf den Weiland Kanal stieß.

Das Ufer des Erie Sees ist zu großen Teilen in privater Hand, so regte ich mich meist über die Verbotsschilder am Straßenrand auf, denn die Häuser standen auf der anderen Seite der Straße, das Seeufer gehörte aber noch zu Ihnen. Keep Off! war meist die Botschaft die mich von links ansprang…

Am zweiten Abend am See hielt vor mir Johnnie mit seinem Auto und begann ein Gespräch das darin endete das er mich zu sich einlud. Ein Kanadier in den USA groß geworden, lebte lange zeit ohne offizielle Aufenthaltserlaubnis und ist vor kurzem nicht mehr ins Land gelassen worden. 9/11 und die härteren Kontrollen haben´s Ihm versaut. Jetzt sitzt er den Sommer über am See und geht im Winter in die wärmeren Regionen reisen, auch kein schlechtes Leben. Wir tauschten Reisegeschichten aus und Ich schlief auf seiner Veranda im Zelt. Schöner Abend!
Johnnie machte mich auf Aylmer aufmerksam, einer Kleinstadt auf dem Weg mit großem Amish-Anteil. Die historische deutsche Glaubensgruppe war vor Verfolgung damals in die USA geflohen und haben hier am Lebensstandard des 18. und 19. Jahrhunderts festgehalten. Da war ich ja mal gespannt. Kaum radelte ich in die Stadt überquerten eine ganze Gruppe die Kreuzung, spannend zu sehen, absoluter Anachronismus... Irgendwie waren sie immer zu schnell oder ich fand den Moment nicht angemessen, jedenfalls gibt es kein Bild davon. Ich machte eine kleine Pause im McDonalds und selbst dort waren sie. Ich habe später gelesen, dass es verschieden harte Auslegungen der Regeln gibt und die liberale auch mehr mit Technik (wie dem Radfahren) einverstanden sind.
Am Abend konnte ich mich für keinen Platz entscheiden und das war auch gut so denn irgendwann radelte mir ein Pärchen über den Weg und lud mich spontan ein bei Ihnen im Garten zu zelten. Als wir dort ankamen stellten sie mir Ihr AirBnB Apartment zur Verfügung. Purer Luxus für diese Nacht, sehr schön. Ich hatte noch eine lange Unterhaltung mit Laurel am Abend und am Morgen und fuhr erfrischt danach weiter.

Letzter Punkt auf meiner Kanadatour war ein Städtchen namens Petrolia. Der Name kommt nicht von ungefähr, nein hier oder besser im benachbarten Oil Springs wurde die erste kommerzielle Ölförderanlage Nordamerikas erbaut. Die Quelle allen Übels sozusagen. Petrolia boomte gewaltig, mehrere Jahrzehnte sprudelte das Öl und der Fortschritt nahm Einzug. Ein paar prächtige Bauten, wie das Viktoria Theater und das Postamt zeugen von damals aber ansonsten ist das Städtchen wieder in den Dornröschenschlaf zurückgefallen. Am Stadtrand quietschen noch ein paar vereinzelte Pumpen gemütlich vor sich hin aber das große Geld ist weitergezogen. Die Entdeckung des Öls verursachte den Niedergang des kommerziellen Walfangs in Nordamerika und so war der Boom Petrolias das Ende des Wohlstands in New Bedford, der Hafenstadt in Massachusetts durch die Ich am Anfang geradelt war. Der Kreis schließt sich. Die Nacht verbrachte ich am Ufer des St. Clair River mit Blick auf das Land in das ich am Morgen zurückkehren würde: Die USA

Kanada, Du Wunderschöne! Drei Wochen im Land haben mal wieder gezeigt wie grossartig diese Perle im Norden ist. Die grossen Seen, die Niagara Fälle, das Naturparadies rund um die Rideau Fälle, wunderschön. Aber anders als der Westen ist hier alles gezähmt und reguliert. Dies nimmt einen Grossteil des Reizes weg. Teilweise kam ich mir, geleitet von Schildern und Pfeilen, eingerahmt von Zäunen und Absperrungen wie in Watte gepackt vor. Die Menschen hier leben in Ihrer Blase. Man spürt Ihren Willen es besser zu machen als Ihr südlicher Nachbar, Sozialsysteme funktionieren und auch die Fürsorge für die überraschend vielen Obdachlosen läuft gut. Der Anteil von Immigranten aus aller Welt ist nicht zu übersehen und Ihre Einstellung Ihnen gegenüber ist wundervoll und offenherzig, tolerant. Aber sie sind immer noch Nordamerikaner, fahren gerne grosse Autos und wollen an die Hand genommen werden wenn es um die Freizeit geht. Sicher einer der umspektakulärsten Teile meiner Radreise bisher. Ich vermisse zusehends die Wildnis und das Abenteuer, meine Instinkte verkümmern auch weiterhin…

Aber ich bin wieder da! Es hat länger gedauert als ich gedacht habe, aber die innere Uhr ist wieder auf Reisen eingestellt. Die Abläufe sind wieder da und die Entspanntheit am Morgen, den neuen Tag vor Augen fühlt sich sehr gut an. Das Rad läuft, der Körper macht auch keine grösseren Probleme und selbst mein neuer Sattel den ich vor der Reise von RTI Sport in Koblenz zur Verfügung gestellt bekommen hatte ist langsam aber sicher wieder bequem. Noch meilenweit von meinem alten entfernt, aber es kommt…. Je mehr ich in den Tag hineinlebe desto herrlicher werden die „zufälligen“ Begegnungen am Wegesrand. Ich liebe das Reisen habe ich mehr als einmal zu mir selbst gesagt in den letzten Wochen…

Ich freue mich auf den mittleren Westen, hier erwarten mich zwar weiterhin keine Abenteuer in der Wildnis aber dafür kulturelle Abenteuer in Amerikas ehemaligen industriellen Herzen das heute nur noch Rostgürtel genannt wird. Aber davon das nächste Mal mehr… lasst euch überraschen :-)
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